Stifter Michael Lezius mit Karl-Joachim Dreyer-Preis ausgezeichnet

Stifter Michael Lezius

Im Rahmen eines Stiftertreffens in Hamburg am 28. März 2018 wurde Michael Lezius, Gründer der Yagmur Gedächtnisstiftung, mit dem Karl-Joachim Dreyer-Preis ausgezeichnet. Dr. Harald Vogelsang, Vorstandsvorsitzender der Haspa Hamburg Stiftung, überreichte im Namen der Jury den Preis und ehrte Michael Lezius damit für sein Engagement in Sachen Kinderschutz. Michael Lezius hatte seine Stiftung im April 2016 in Gedenken an die durch ihre leiblichen Eltern zu Tode misshandelte Yagmur gegründet. „Für ihn war Yagmurs Tod Anlass für ein großartiges Engagement zum besseren Schutz von Kindern. – Und damit gibt er dem unfassbaren Tod der kleinen Yagmur vielleicht doch noch etwas wie einen Sinn“, sagte Harald Vogelsang in seiner Laudatio.

Michael Lezius möchte sich mit diesen persönlichen Worten für die Auszeichnung bedanken:

Es war wahrlich eine Überraschung als ich erfuhr, dass ich den Karl-Joachim Dreyer-Preis für mein Lebenswerk erhalten sollte. Mein Dank geht daher an alle Kuratoriumsmitglieder, die diese Entscheidung getroffen haben. Ich nehme den Preis gerne an, auch im Namen meiner Mitstreiter. Ich bin mir der Ehre bewusst, dass viele andere potenzielle Preisträger zur Diskussion standen. Ich empfinde, dass ich diesen Preis stellvertretend für alle Menschen in Hamburg erhalte, die sich für den Kinderschutz, das Kindeswohl und die Kinderrechte einsetzen.

Vor 40 Jahren begann mein Engagement für Kinderschutz beim Deutschen Kinderschutzbund in Köln. Mit meiner Familie kümmerten wir uns um Kinder in Köln-Chorweiler, einem Stadtteil ähnlich wie Steilshoop. Wir spielten, malten und sangen mit den Kindern, gaben ihnen Zuwendung und Wertschätzung. Dort entstand die Idee, ein Kind in unsere Familie aufzunehmen. Es sollten schließlich zwei Kinder werden. Auf einmal hatten wir neben zwei leiblichen Kindern auch zwei Pflegekinder und erfuhren, was das bedeutet, wenn Kinder wie Schränke hin- und hergeschoben werden. Belastbare Bindungen entstehen nachhaltig nur bei Kontinuität. Kinder binden sich ganz kurzfristig an Bezugspersonen, auch wenn die politisch Verantwortlichen dies nicht vorsehen, nicht wahrnehmen und nicht einsehen. Schon damals lernte ich die Unzulänglichkeiten in der Jugendhilfe kennen. Vom Ausland (Schweiz, England, USA) könnten wir manches lernen, doch bei uns herrschte – häufig auch noch heute – die Überzeugung „Blut ist dicker als Wasser“.

1986 kamen zum „ 1. Tag des Kindeswohls“ 300 Menschen aus ganz Deutschland nach Kassel, um sich mit den Bedürfnissen von Kleinkindern zu befassen. Daraus entwickelte sich die „ Stiftung zum Wohl des Pflegekindes“ in Holzminden. Diese Stiftung feierte 2017 ihr erfolgreiches 25- jähriges Wirken.

2007 zog ich nach Hamburg und verfolgte die hiesige Jugendhilfe-Szene. Seit 13 Jahren sind in Hamburg sieben Kinder unter der Obhut der staatlichen Behörden von den Eltern getötet worden. Yagmurs Tod war der Anlass, die Yagmur Gedächtnisstiftung zu gründen. Wir wollen die Öffentlichkeit für die Bedürfnisse des Kindes nach Schutz und Entwicklung sensibilisieren.

Jedes Jahr sterben 130 Kinder aus allen gesellschaftlichen Schichten in Deutschland, 100 davon unter 6 Jahre, 4000 Kinder werden schwer misshandelt und krankenhausreif geschlagen. Dem wollen wir etwas entgegensetzen. 1000 Kindeswohlgefährdungen gibt es pro Jahr in Hamburg. Wir setzen uns dafür ein, die Kinderrechte im Grundgesetz zu verankern, so wie es auch die neue große Koalition in Berlin plant. Wir wollen, dass die Kinderrechte über den Elternrechten stehen, wenn Kinder massiver Gewalt und nachhaltiger Vernachlässigung ausgesetzt werden – auch psychischer Gewalt.

Wichtig ist es – so plant es auch der Gesetzgeber – die leiblichen Eltern rechtzeitig umfänglich zu stützen, damit Kinder das Notwendige bekommen. Deshalb informieren wir uns im Rahmen des Familienausschusses der Bürgerschaft und der Enquete-Kommission Kinderschutz über die Kindersituation in Hamburger Familien, nicht nur aber vor allem bei den 70.000 Kindern, die an oder unter der Armutsgrenze leben. Wir sind im Dialog mit Organisationen, Behörden, der Politik und der Zivilgesellschaft. Eine renommierte Kinderschutzexpertin in Hamburg sagte mir 2015 bei Gründung der Yagmur Gedächtnisstiftung: „Wenn wir alle Kinderschutzvorschriften einhalten würden, wären manche Stadtteile in Hamburg kinderfrei“. Deshalb fördern wir auch Projekte wie Arbeitskreis Dulsberg und AugenBlicke e.V. , die Prävention praktizieren, um Kinder vor Gewalt zu schützen. Wir wollen Brückenbauer zwischen Eltern, Pflegeeltern, Jugendhilfe, Behördenleitung, Gericht, Politik und Medizin sein. Wir wissen was Prävention kostet. Doch es rechnet sich. Erst wenn das nicht funktioniert, sind Inobhutnahmen angesagt.

Angesichts des demographischen Wandelns, der Digitalisierung der Arbeitswellt und der Globalisierung wird es in der Zukunft kaum noch einfache („low“) Arbeitsplätze geben. Wir sind daher alle aufgerufen – dabei sende ich einen Appell an Sie alle – Kinder aus prekären Familiensituationen zu fördern, sie nicht zurückzulassen, denn wir können es uns nicht leisten, die besagten 70.000 Kinder nicht optimal zu unterstützen. Es ist wichtig eine Kosten-Nutzen-Analyse im Bereich Bildung und Erziehung vorzunehmen. Für den Bereich „Frühe Hilfen“ des Nationalen Zentrums für Frühe Hilfen gibt es positive Ergebnisse: eingesetzte Mittel schaffen in den ersten drei Jahren einen 60-fachen ökonomischen Nutzen. Auch bei der internationalen Minnesota-Langzeitstudie (USA) gibt es ähnliche Ergebnisse. Bei 6000 US-Dollar an Kosten entstanden langfristig Einsparungen von 24.000 US-Dollar bis zum 15. Lebensjahr. Langzeitstudien, wie die Minnesota-Studie liefern wertvolle Erkenntnisse darüber, was zu gelingender Entwicklung von 0 bis 40 (USA) trotz Armut und anderer Risiken (d.h. Resilienz) beiträgt und ermöglicht gezielte Unterstützung. Die so entwickelten Hilfen wurden wiederum auf ihre Wirksamkeit überprüft (z.B. STEEP) , sodass wir mittlerweile mit Fug und Recht sagen können, dass diese Hilfen bei den Kindern ankommen und den Kindern wirklich helfen. Natürlich sind diese Hilfen keine Wunderwaffen und es bleiben immer noch Kinder, denen wir damit – auch wenn wir diese Hilfen ständig verbessern – nicht ausreichend helfen können. Hier müssen Kinder so schnell wie möglich gute Pflegefamilien finden. Auch hier müssen wir unsere Instrumente schärfen und ständig weiterentwickeln.

Der Wirtschaftsnobelpreisträger Prof. James Heckman (Universität Chicago) weist in seiner Analyse über das Perry-Vorschulprogramm eine 7- 10%- ige Rendite auf der Basis von Schul- und Berufsleistungen nach, sowie reduzierte Kosten in der Früherziehung, der Gesundheit und im Strafsystem. Prof. Heckmans neueste Studie analysiert das „Care-Programm“. Zusammenfassend ergibt es hohe Qualität bei der Vorschulförderung für benachteiligte Kinder, wobei eine 13 %-ige Rendite pro Kind und Jahr erbracht wird bezogen auf Erziehung, Wirtschaft, Gesundheit und soziale Fähigkeiten.

Wir benötigen alle Kinder als vollwertige, kreative und leistungsbegeisterte Menschen und Bürger in Deutschland – angesichts des Geburtenrückganges von 1,2 Mill. auf 0,7 Mill. Kinder pro Jahr – um die Unternehmen, die Demokratie, das Sozialgefüge, den Wohlstand der Bürger, die Renten etc. zu erhalten und Altersarmut zu begrenzen. Deutschland und die EU stehen im Wettbewerb mit wachsenden Regionen wie China und Indien und anderen Gebieten in der Welt. Wir sind nur konkurrenzfähig mit anspruchsvollen Arbeitsplätzen und damit qualifizierten Bürgern. Von daher sollten alle Kinder – gerade auch die benachteiligten Kinder – einen Anspruch auf intensive Förderung haben. Sie sollten ihr volles Potenzial entwickeln können, so wie die Kinder aus bürgerlichen Akademikerfamilien. Das beginnt schon im Krippenalter.

Die Wirtschaftsverbände sind gut beraten, langfristige Investitionen in Kinder zu unterstützen. Es ist in ihrem Interesse. Das Kölner „Institut der Wirtschaft“ der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände schreibt: „Der Ausbau der Ganztagsbetreuung von Kindern bei Bildung und Integration rechnet sich gesamtfiskalisch. Zusätzliche Einnahmen sowie Ausgabensenkungen ermöglichen eine Selbstfinanzierungsquote von 45 % im Bereich 1- 6 Jahre und von 70 % bei Ganztagsschulen.“

Bei Vermeidung von Kindesmisshandlung und Kindesvernachlässigung entsteht ein zwanzigfacher Nutzen, denn Delinquenz und Wertschöpfungsverluste im Erwerbssystem (Arbeitslosigkeit, geringe Qualifikation) werden vermieden. Es führt zu einer „doppelten Rendite“.

Für die 70.000 Kinder an der Armutsgrenze aus Hamburg müssen wir daher pro Jahr 90 Mill. € im Rahmen des Bildungs- und Teilhabepakets (1200 € pro Kind /pro Jahr) investieren, um nicht die Arbeitslosen und Hilfeempfänger von morgen zu generieren. Der Gesetzgeber ist hier gefordert. Lassen wir Kinder zurück, landen diese häufig in Heimen, wo sie dem Steuerzahler 200 – 500 € pro Tag kosten. Von der Humanität eines christlichen Abendlandes ganz abgesehen!

Wir von der Yagmur Gedächtnisstiftung führen am 9.6.2018 einen Workshop durch, um gelungene und misslungene Kinderschutzfälle in Hamburg anzusehen. Daraus wollen wir Konsequenzen ziehen und allen Kinderschutzorganisationen ermuntern, sich zu vernetzen und mit einer abgestimmten Stimme zu sprechen.

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